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© Bernd Kehren 1999-2016

 

Nein sagen lernen im Pfarrberuf

Ich habe damals mitgemacht bei der Kofferaktion von Fritz Roth "Ein Koffer für die letzte Reise". Es gab einen schönen Film dazu, der zwei dieser Kofferpacker begleitete. Ich werde den Koffer des Fleischermeisters nie vergessen. Er packe als erstes einen Zettel mit dem Wort "Nein" in den Koffer. Weil man so oft Ja sagt, wo man Nein meint. Weil man so oft Ja sagt, obwohl man das Ja gar nicht einlösen kann. Weil man so oft Ja sagt und Dinge unbedingt selber machen will, die auch andere machen könnten - vielleicht sogar viel besser.

@Inabea spricht das Problem der Prokrastination an: Der Aufschieberitis. Bei manchen Menschen wird irgendwann auch ADS im Erwachsenenalter diagnostiziert - und manche bekommen es tatsächlich nur mit medikamentöser Hilfe in den Griff.

Einerseits sind so viele Dinge interessant. Man möchte sich ihnen widmen. Sie sind ja auch für das Pfarramt irgendwie interessant und wichtig. Man wendet sich ihnen zu, man macht sie gerne selber und gesteht sich und den anderen nicht ein, dass man noch genügend andere Dinge zu tun hat.
Haben wir gelernt, Nein zu sagen? Sagen wir genügend Nein, wenn wir bereits so viele Aufgaben vor der Brust haben, dass jedes zusätzliche Ja uns dem Rand der Belastungsfähigkeit näher bringt?

Wenn man mehr finanzielle Verpflichtungen übernimmt, als man in einem vernünftigen Zeitraum zurück zahlen kann, kommt die Insolvenz.

Wenn man mehr zeitliche Verpflichtungen übernimmt, als man in vernünftigen Zeiträumen erledigen kann, kommt das Burnout.

Das Schlimme ist: Am Anfang ist das "Ja-Sagen" mit einem enormen Maß an positivem Feedback verbunden. Es ist doch schön, wenn Menschen einen wertschätzen, wenn man genügend Zeit für sie hat. Es ist doch schön, wenn man Antworten auf Blogs bekommt. Es ist doch schön, eine kreative Aufgabe erfolgreich präsentiert zu haben. Und gehört es nicht irgendwie selbstverständlich dazu, dass man im Pfarrberuf 60 Stunden arbeitet? Das machen die anderen doch auch so ...

Wie oft bekommt man dann Aufgaben nur noch mit einer kräftezehrenden Nachtschicht erledigt. Wenn man jung ist, macht das der Körper auch noch eine Zeit lang mit. Aber jeder wird älter...

Manchmal glaube ich, dass Tim Bendzko "Welt retten" speziell für Pfarrer geschrieben hat. Mal eben noch ein paar Mails checken, mal eben noch die Welt retten, mal eben noch das Türschloss selber reparieren ... Wie oft hat die eigene Familie auf den Pfarrerin, den Pfarrer warten müssen, weil dieser wieder mal gerade die Welt rettete?

"Kirche und Gewerkschaft" ist wegen des "Dritten Wegs" ein heikles Thema. Ich behaupte: Wir könnten von den Gewerkschaften eine Menge lernen. Vor allem die Wertschätzung der eigenen Arbeit einerseits und die Wertschätzung der normalen menschlichen Belastungsgrenzen andererseits.
Wir können von den Gewerkschaften lernen, "Nein" zu sagen, wo diese Grenzen überschritten werden und wo wir selbst uns daran gewöhnt haben, permanent diese Gefühle zu überschreiten.

Vor einiger Zeit fand hier im Landkreis ein Treffen statt, in dem besonders über Kinder psychisch kranker Eltern nachgedacht werden sollte. Ein Psychiater sprach darüber, was man von seinen Kindern lernen kann. Eines der vielen Bücher, dass er für das Gespräch mitgebracht hatte: Windelfreie Kindererziehung. Ihm waren die Grenzen dieser Möglichkeit klar. Es funktioniert nur, wenn man genügend Zeit hat, sein Kind zu beobachten und ein Gefühl dafür zu bekommen, wann es "muss". Es funktioniert nur, wenn man lernt, die eigenen Grenzen und die des Kindes wahrzunehmen. Und dann kamen wir auf diese Grenzen zu sprechen. Wie oft geht alles mögliche vor. Was lernt das Kind dabei? Es lernt von seinen Eltern vor allem, dass die eigenen Grenzen unwichtig sind. Es lernt, nicht auf die eigenen Grenzen zu achten und diese Grenzen zu überschreiten. Haben wir als Pfarrerinnen und Pfarrer, als Pastorinnen und Pastoren gelernt, auf die eigenen Grenzen zu achten? Haben wir gelernt, Nein zu sagen, wenn andere - oder wir selber sie überschreiten?
Haben wir nicht vielmehr oftmals verinnerlicht, vielleicht so gar in pastoraler Selbstherrlichkeit, wie gut es tut, permanent für andere da zu sein?

Ich gestehe, ich kann es selber nur schwer. Darunter leide ich selber, und darunter leiden andere, denen ich ein Ja zugesagt habe, dass ich nicht oder nur mühsam halten kann.

Im Zeitmanagement-Seminar habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Aufgaben, die man zugesagt hat, im Kalender so deutlich zu markieren, dass man sofort merkt, wann man zu neuen Aufgaben "Nein" sagen muss.
Darf ich an dieser Stelle daran erinnern, zu welchen Aufgaben man alles "Ja" gesagt hat, als man "das" Ja sagte? Das "Ja" vor Gott und den Menschen zu seinem Partner, zu seiner Partnerin, an guten und an schlechten Tagen? Das Ja zu den gemeinsamen Kindern? Und wieder waren sie so schnell groß, und man hat viel zu wenig davon mitbekommen. Und wieder wird eine Ehe geschieden, weil man für alles und jeden Zeit hatte, nur nicht für den Partner/die Partnerin, der man einmal das "Ja" versprochen hatte.

Von jenem Fleischermeister und von den Gewerkschaften können wir lernen, "Nein" zu sagen. Nein zu anderen und Nein zu uns selbst - wenn unsere Grenzen überschritten werden.
Und vom "Reichen Jüngling" können wir lernen, dass wir die Welt nicht retten können und nicht retten müssen. (Falls dieser Gedanke zu schnell war: Ist nicht "Was muss ich tun, um das Ewige Leben zu erben?" die religiöse Variante des weltlichen "Wie kann ich die Welt retten?) Das Kreuz macht deutlich: Diese Rettung hat ein anderer schon lange vollbracht. Wir müssen sie uns nur noch schenken lassen.

Auch darum dürfen wir Nein sagen, wenn wir an unsere Grenzen kommen. Und das geschieht schneller und öfter, als wir es oft wahrhaben wollen.

Bernd Kehren
19.05.2014
 

als Reaktion auf den Blogbeitrag von Matthias Jung,
Über den Habitus der Vielbeschäftigkeit unter Pfarrersleuten